"Das ist ein Skandal sondergleichen"
Die Solidaritätsbewegung für Palästina läßt sich nicht vom »Maulkorberlaß« der Linksfraktion beirren. Gespräch mit Fanny-Michaela Reisin
Interview: Peter Wolter
Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin, geboren in Jerusalem und israelische Staatsbürgerin, ist Präsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte
Die Fraktionsführung der Linkspartei im Bundestag hat am Dienstag einen Maulkorberlaß durchgepeitscht. Abgeordnete und ihre Mitarbeiter dürfen demnach nicht mehr für eine Ein-Staaten-Lösung in Nahost und für einen Boykott israelischer Waren eintreten. Auch die Unterstützung der anstehenden Solidaritätsflottille gerät unter Antisemitismus-Verdacht. Was sagen Sie als Jüdin mit israelischem Paß dazu?
Das ist sehr traurig, überrascht mich allerdings auch nicht besonders. Vergleichbare Entscheidungen und Maulkorberlasse hat es in dieser Partei ja früher schon gegeben.
Dieser Beschluß aber ist aus meiner Sicht geradezu ungeheuerlich, ein Skandal sondergleichen – damit wird praktisch die freie Meinungsäußerung in der Partei aufgehoben. Eigentlich müßte ihr jetzt jeder, der noch Selbstachtung hat und etwas von Demokratie hält, den Rücken kehren.
Antisemitismus ist nur eine der vielen Formen, in denen sich Rassismus äußert. Eine andere Spielart des Rassismus ist die Ausgrenzung von Andersdenkenden, von Menschen anderer ethnischer oder geographischer Herkunft, wie es gegenüber den Palästinensern in Israel und den besetzten Gebieten geschieht. Es kann eine Partei eigentlich nur in den Untergang führen, wenn sie die nötige inhaltliche Beschäftigung mit diesem Komplex durch solche platten Lösungen ersetzt, wie es die Fraktionsführung getan hat.
Natürlich wünsche ich mir, daß es in Deutschland eine starke linke Partei gibt – diese »Linke« hat jedoch bei den Themen Rassismus, Grundrechte, internationales Recht und Universalität der Menschenrechte mehrfach versagt.
An der Solidaritätsflottille und einer weiteren Solidaritätsaktion, die am 8. Juli stattfinden soll, sind Organisationen aus aller Welt beteiligt. Was sind das für Gruppen? Verkappte Islamisten, wie es die israelische Propaganda gerne behauptet?
Keineswegs, an der Flottille nehmen international tätige, ehrenwerte Organisationen teil. Daß so viele mitmachen, ist die Antwort der Zivilgesellschaften aus aller Welt auf die anhaltenden Verletzungen des internationalen Rechts durch Israels Regierungen. Daß es im vergangenen Jahr bei dem Überfall auf die Flottille neun Tote gab, ist ein hoher Preis. Aber immerhin haben die Vereinten Nationen anschließend die Forderung nach Aufhebung der Gaza-Blockade übernommen.
Sind auch jüdische Gruppen dabei?
Gar nicht einmal wenige. Ich selbst zum Beispiel gehöre der Gruppe »Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost« an – in elf anderen Ländern Europas gibt es Schwesterorganisationen. Sie alle sind Mitorganisatoren der Flottille. Dann gibt es die große Gruppe »Youth for Peace« aus den USA, es nehmen ferner angesehene Persönlichkeiten aus aller Welt teil, darunter natürlich auch Israelis.
Sie konzentrieren sich vorwiegend auf die Organisation der Proteste, die für den 8. Juli vorgesehen sind. Was steht konkret an?
Es geht uns vor allem darum zu zeigen, daß Gäste aus aller Welt das Recht haben müssen, nach Palästina zu reisen. Sie sind eingeladen von Organisationen der palästinensischen Zivilgesellschaft und werden auf dem Ben-Gurion-Flughafen in Tel Aviv ankommen. Wenn sie durchgelassen werden, ist für sie im Westjordanland ein einwöchiges Programm vorgesehen.
Mit wieviel Teilnehmern rechnen Sie bei dieser Aktion?
Wir hoffen, daß wir über 1000 Menschen bewegen können, sich diesem Protest anzuschließen. Bis jetzt haben meines Wissens schon mehrere hundert Menschen einen Flug gebucht.
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