Dr. Reiner Bernstein - Nachruf
Prof. Dr. Rolf Verleger, Vorsitzender von BIP und Mitglied der Jüdischen Stimme schreibt zum Gedenken an Dr. Reiner Bernstein
Am 18. Februar 2021, fünf Tage nach seinem 82. Geburtstag, ist Reiner Bernstein in München gestorben.
Sein Leben war gezeichnet vom Bemühen, als Nichtjude das zu heilen, was nicht mehr zu heilen ist:
die Vernichtung des europäischen Judentums 1939-1945 durch Deutschlands NS-Staat und seine Verbündeten und die Gründung des Staats Israel durch Vertreibung hunderttausender Palästinenser 1948.
Reiner Bernstein wurde am 13. Februar 1939 geboren, in Merseburg an der Saale. Mit zwanzig Jahren begann er 1959 in Berlin ein Studium der Geschichte, Politik und Publizistik an der Freien Universität und promovierte dort 1969 mit einer Arbeit zur Publizistik der deutschen Juden 1924-1933 .
Nach dem Studium war er zunächst 1969-1970 Redakteur beim Saarländischen Rundfunk. Danach kam er auf sein Lebensthema zurück: Die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) war 1966 gegründet worden und hatte ihre regierungsnahe Geschäftsstelle in Bonn. Reiner Bernstein wurde 1971 Leiter dieser Bundesgeschäftsstelle und behielt diese Stelle bis 1977. Die DIG-Jahresversammlung 1977 entschied, dass die DIG die Politik des Staats Israel nicht kritisieren dürfe, und enthob daher Reiner Bernstein seines Amts. Ebenso wählte sie den DIG-Vorsitzenden Heinz Westphal ab. Reiner gründete daraufhin 1977 u. a. mit Rolf Rendtorff (DIG-Gründungsmitglied, Theologe und Rektor der Universität Heidelberg) den „Deutsch-israelischen Arbeitskreis für Frieden im Nahen Osten“, [6] und schrieb sich seinen Ärger in einem Beitrag für den Sammelband „Fremd im eigenen Land“ von der Seele [7].
Danach arbeitete er in Nordrhein-Westfalen 1981-1986 als Leiter des Düsseldorfer Büros der Ev. Landesarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung und 1986-2002 als Studienleiter an der Melanchthon-Akademie Köln.
Von dort zog er nach München, denn dort wohnte die Liebe seines Lebens: Judith, als Kind von Thüringer jüdischen Flüchtlingen 1945 in Jerusalem geboren, seit 1976 endgültig in München ansässig und dort seit 1991 Mitglied der „Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe München“. Reiner und Judith heirateten.
Es begann eine neue arbeitsintensive Zeit. Reiner und Judith Bernstein machten sich Ende 2003 zu Fürsprechern der „Genfer Initiative“ [8], die der letzte halb-offizielle Versuch der israelischen und palästinensischen Linken war, einen palästinensischen Staat neben Israel zu gründen. Zu diesem Zweck bemühten sich die beiden Bernsteins, ihre Kontakte zur Politik in Berlin zu nutzen. Auf lokaler Ebene, in München, förderten sie die Verlegung von Stolpersteinen. Reiner Bernstein war seit 2007 für vier Jahre Vorsitzender dieser Initiative [1], [7]. Diese Verlegungen waren ja von der Münchner Stadtverwaltung aufgrund des Eigensinns der dortigen jüdischen Gemeinde untersagt. Am 28. Januar 2018 ehrte die Humanistische Union Judith und Reiner Bernstein mit dem Preis „Der Aufrechte Gang“ für die Verlegung von Stolpersteinen in München und für ihren Einsatz zum Frieden zwischen Israelis und Palästinensern. Zur Preisverleihung in einem Münchner Kinosaal waren über 350 Zuschauer erschienen.
Schon von seiner Krankheit schwer gezeichnet brachte Reiner Bernstein vor wenigen Wochen noch ein Resümee seiner Arbeit heraus: „Allen Anfeindungen zum Trotz“, erschienen im Januar 2021 im Aphorisma-Verlag.
Er war für uns ein Vorbild für Wahrhaftigkeit, Geradlinigkeit, Menschenwürde und Nächstenliebe. Möge sein Andenken uns weiter anspornen. Wir werden seinen Namen in Ehren halten.
[7] R. Bernstein: „Mein Name regt die Phantasie meiner Umwelt an“. In H. M. Broder & M. R. Lang: „Fremd im eigenen Land. Juden in der Bundesrepublik“. Fischer-Verlag 1979, S. 37-47.