Khirbet Humsa erneut zerstört
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Khirbet Humsa erneut zerstört

 Am 3. November 2020 haben israelische Soldat*innen das kleine Schäferdorf Khirbet Humsa im Norden des besetzten Westjordanlands mit Baggern angegriffen und komplett zerstört. Sie rissen Zelte und landwirtschaftliche Gebäude ab und beschlagnahmten Fahrzeuge. Somit ließen sie 75 Erwachsene und 43 Kinder zum Winteranfang obdachlos zurück.

Die Bewohner*innen von Khirbet Humsa waren im Jahre 1967 vor der israelischen Besatzung geflüchtet und sind in die Gegend um die Stadt Tubas herum gezogen, um Weideland zu finden. Die  illegale israelische Kolonie Ro’i, die 1976 auf konfisziertem Boden der Stadt Tubas gegründet wurde, versucht, sich in das Territorium von Khirbet Humsa auszuweiten, unterstützt durch die israelische Armee, die immer wieder die bescheidenen Zelte des Dorfes abreißt mit der Begründung, dass sie ohne Genehmigung gebaut worden wären – dabei ist es für Palästinenser*innen in Area C der besetzten Westbank nahezu unmöglich, solche Genehmigungen zu bekommen. Die Siedler*innen von Ro’i verstoßen mit ihren Bauten zwar gegen die Vierte Genfer Konvention, ihre Häuser werden aber selten abgerissen.

Nach einem internationalen Aufschrei angesichts der Zerstörung von Khirbet Humsa im November letzten Jahres hat die Jüdische Stimme für Gerechten Frieden in Nahost e.V. eine Spendenaktion zugunsten einer Nothilfe für die Bewohner*innen organisiert, die von Aktivist*innen vor Ort koordiniert wurde. In Deutschland wurden über 14.000 Euro gespendet und nach Palästina geschickt. Neue, mit dem Lebensnotwendigen ausgestattete Zelte und neue Ställe wurden errichtet. Aktivist*innen und Bewohner*innen haben den Spender*innen in Deutschland ihren herzlichen Dank ausgesprochen.



Mit Trauer, Enttäuschung und Wut haben wir jetzt von den gleichen Aktivist*innen erfahren, dass am Montag, den 1. Februar 2021 israelische Soldat*innen die nach der Verwüstung vom November Zurückgebliebenen erneut angegriffen, ihr weniges Hab und Gut zerstört und weitere Fahrzeuge konfisziert haben (1). Die Soldat*innen wollen alle nichtjüdischen Anwohner*innen aus dem Gebiet von Khirbet Humsa entfernen; es handelt sich dabei um die Fortsetzung einer seit vielen Jahren praktizierten Politik der ethnischen Säuberung, die sich jetzt, wo die israelische Regierung ihre Beliebtheit im Vorfeld der anstehenden Wahl im März erhöhen will, intensiviert – mit einer Brutalität, die gegen jegliche völker- und menschenrechtliche Standards verstößt. Was in der Vergangenheit noch vor den Augen der Welt verheimlicht werden sollte, wird jetzt als offizielle Politik deklariert und weltweit von politischen Institutionen geduldet.



Wir müssen schnell handeln, um zu zeigen, dass Palästinenser*innen unter israelischer Besatzung nicht alleine dastehen. Es gibt nur zwei Wege, um die ethnische Säuberung aufzuhalten: zum einen, indem der israelischen Öffentlichkeit vermittelt wird, dass das Wählen von Politiker*innen, die solche Säuberungen befehlen, auch für das internationale Ansehen des israelischen Staates, vor allem für seine Beziehungen zum größten Handelspartner, der EU, Konsequenzen haben wird. Der zweite Weg ist der bewaffnete palästinensische Widerstand gegen die israelische Armee durch tödliche Gewalt. Wir befürworten die sofortige Beendigung der ethnischen Säuberung durch die erste Methode.



Wir rufen alle Freund*innen und Spender*innen auf, ihre Empörung  zum Ausdruck zu bringen, sich an den Bundespräsidenten, die Kanzlerin, das Auswärtige Amt oder die EU zu wenden und zu fordern, dass sie aus der brutalen Missachtung der internationalen Menschenrechtskonvention in Israel die unabweisbar notwendigen Konsequenzen ziehen.



(1) Bericht von Augenzeugin:















Die wiederholte Zerstörung von Humsa – eine Reportage















Auf den Feldern von Humsa fing der Weizen an zu keimen, die Sonne schien und die Welt verdunkelte sich zum zweiten Mal innerhalb der letzten Monate über den 75 Einwohnern der Ortschaft.

Um 10 Uhr am Morgen des 1. Februar 2021 trafen zig Lastwagen in Humsa ein. Soldaten sprangen ab, gingen von Zelt zu Zelt und bauten eiskalt und herzlos ein Zelt nach dem anderen, einen Schafstall nach dem anderen ab, zerstörten die Backöfen und die Verschläge mit dem Viehfutter, falteten die Planen gelassen zusammen und luden sie auf die Lastwagen mitsamt den Balken und Holzstangen, die sie getragen hatten. Als die eisige Wüstennacht anbrach, blieb am Ort nichts zurück außer wütenden Männern, weinenden Frauen und erschreckten Kindern. Wer nie Menschen gesehen hat, die obdachlos geworden sind, der Witterung ausgeliefert, ohne schützende, die Wärme haltenden Wände, seien sie auch aus Stoff und Brettern, wer die furchtbare Verzweiflung in den Augen solcher Menschen nicht gesehen hat, der wird nicht verstehen können, wie entsetzlich das ist.

Und die jungen Soldatinnen und die Soldaten, die sich für Helden halten, zeigen sich davon unberührt. Solche gebrochenen Gestalten zählen in ihren Augen nicht als Menschen. Sie haben eine Einstellung entwickelt, wie sie die Nazis vor 80 Jahren den Juden gegenüber propagierten, die in ihren Augen nicht mehr zur menschlichen Gattung gehören sollten. Von hier aus ist alles möglich.

Noch hatte der letzte Soldat den Ort nicht verlassen, als die Palästinenser schon Eisenstäbe aus ihrem Versteck zogen und sie mit Steinen tief in die Erde schlugen. Sie errichteten ärmliche Ställe für die Schafe, Backöfen für das Essen, das niemand hinunterbringen konnte, und breiteten Nylons als nächtliche Bedeckung für ihre Körper aus. Noch im Laufe der Nacht brachte die palästinensische Behörde 2 Zelte und ein Dach für die Ställe. Nach zwei Tagen kamen die Lastwagen wieder, diesmal zusammen mit Bulldozern, die den Rest zerstörten. Und was sie nicht zerstörten, wurde konfisziert.

Eine junge Frau versteckte sich hinter den Ruinen und stillte weinend ihr zwei Monate altes Mädchen. Aische, eine kranke Greisin, die nicht einmal aufrecht stehen kann, saß in der Sonne auf einer Holzkiste mitten in einem Trümmerhaufen, der einmal ein Zuhause war, und bereitete Käse zu. Um sie herum lagen die Kadaver von Lämmern, die von den Lastwagen überfahren worden waren, umkreist von Millionen Fliegen. Wir brachten Obst und Gemüse, aber sie weigerte sich, es anzunehmen. Ihre ganze Wut und ihr Schmerz richteten sich gegen uns. Und wir blieben ohne Worte. Was kann ich einer Frau sagen, deren Leben mein Volk immer wieder zerstört? Ich versuchte ihre Hand zu nehmen, aber sie zog sie schnell zurück. Also blieben wir, Ruti und ich, sitzen und rührten uns nicht. Ihre Schwiegertochter brachte ihr dann eines der Babys und ihre Wut löste sich auf. Ruti kitzelte das Kleine und sein Lachen brach das Eis.

Und wieder fingen sie an, Schafställe zu bauen, und unsere Freunde mit ihnen Schulter an Schulter - und wieder brachte die Palästinensische Autonomiebehörde 2 Zelte.

Ich verließ den Ort niedergeschlagen und schmerzerfüllt, aber auch voller Bewunderung für die Entschlossenheit der Einwohner von Humsa, ihr Zuhause immer wieder von Neuem aufzubauen (als ob sie eine andere Wahl hätten!). Meine Freunde sind vor Ort geblieben, um ihnen beim Aufbau zu helfen.

Nach Anbruch der Dunkelheit und in völliger Finsternis (denn seit der Zerstörung im November haben sie keine Solarpanele mehr) kam die Armee zum zweiten Mal an diesem Tag und konfiszierte das Lamm des Armen, das Wenige, das sie sich aus den gefundenen Resten gebaut hatten, und die Zelte, die sie vor der Eiseskälte schützen sollten.

Vertreter der Ziviladministration der Besatzungsmacht teilten ihnen mit, dass sie nach Ein-Schibli, 15 km entfernt, umgesiedelt werden sollten, eine halburbane und dicht bevölkerte Gegend auf der Grenze zwischen der B- und der C-Zone. So ein Transfer bedeutet für sie die totale Zerstörung ihrer seit Hunderten von Jahren bestehenden Lebensweise als Schäfer und den Entzug der Lebensgrundlage von 11 Familien mit 45 Kindern. Die Einwohner haben nicht vor, dorthin zu ziehen. Israel übt einen unmenschlichen und unmoralischen Druck in der Absicht aus, den Transfer der Bewohner von Humsa zu erzwingen, der Nachkommen der 1948 aus dem Negev Vertriebenen.

Es gibt keinen Zweifel: Das ist nicht das Ende. Eines der stärksten, hochgerüsteten Regime der Welt gegen die alte Aische, Nidam und Cherbi.

 

Daphne Banai

  1. Februar 2021