Der Sommer hat unsere Newsletter-Reihe zwar etwas unterbrochen, aber es ist deswegen nicht weniger passiert. Seit Monaten tobt die Kontroverse um die documenta-Ausstellung in Kassel, wo der unbegründete und unredliche Antisemitismusverdacht gegenüber dem indonesischen Kuratorenteam und palästinensischen Künstler:innen auf den üblichen Kontaktschuldargumenten beruhten, die wir beim Thema Antisemitismus und Palästina nur zu gut kennen. Deswegen waren einige von uns zusammen mit der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft Kassel am Tag der Eröffnung (18. Juni) auf einer eine Gegendemonstration als Antwort auf die proisraelische Demonstration in der Kasseler Innenstadt. Kurz danach wurde tatsächlich ein antisemitisches Motiv auf einem großen Banner des Künstlerkollektivs Taring Padi entdeckt, was leider als Bestätigung des antipalästinensisch motivierten Anfangsverdachts betrachtet wurde. Rasch häuften sich die Funde vermeintlich antisemitischer Bilder, und Lobbygruppen wie die Deutsch-Israelische Gesellschaft und ihr Junges Forum daraufhin angefangen, nahezu jede große Nase oder Kopfbedeckung in ausgestellten Bildern als antisemitische Darstellung zu bezeichnen. Zum Glück wurde die Absurdität der Vorwürfe von Fachkundigen aufgezeigt. Die Kontroverse hat aber eine solche Dynamik entwickelt, dass solche Entkräftungen weniger wahrgenommen werden als die Anschuldigungen und die Situation kaum ändern.
Im Februar hatten wir eine Stellungnahme zum Bericht von Amnesty International über Apartheid in Israel veröffentlicht, die nicht zuletzt eine Reaktion auf die Distanzierung der deutschen Sektion war. Daraufhin wurden wir eingeladen, unsere Sicht auf den Bericht in einer Gesprächsveranstaltung bei der Jahresversammlung von Amnesty Deutschland weiter zu erläutern, was unser Vorsitzender Wieland Hoban im Juni in Köln auch getan hat.
Ebenfalls im Juni fand in Frankfurt eine Veranstaltung mit einem Vortrag von Prof. em. Moshe Zuckermann zum Thema Apartheid statt. Veranstalter waren der Arbeitskreis Nahost Bremen, das Palästina-Forum Nahost (Frankfurt) und die Palästinensische Gemeinde Hessen, die Jüdische Stimme war Unterstützerin. Bereits im Vorfeld gab es Verurteilungen von der jüdischen Gemeinde, dem hessischen Antisemitismusbeauftragten Uwe Becker sowie der Frankfurter Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg. Diese versuchten ohne Erfolg, die Veranstaltung zu verhindern. Der Bericht in der Frankfurter Allgemeinen fiel verhältnismäßig sachlich aus, und es gab danach keine weitere Aufregung.
Ende Juli und Anfang August hat Wieland Hoban uns in Palästina vertreten, wo er am Farkha-Festival im Westjordanland teilnahm. Mit seiner Mischung aus Freiwilligenarbeit – etwa dem Bau von Schulmauern – politischen und kulturellen Veranstaltungen ist das Festival wohl einzigartig. Es gab neben ca. 100 Teilnehmer:innen aus verschiedenen palästinensischen Ortschaften auch eine internationale Delegation von ca. 50 Aktivist:innen aus Deutschland, Italien und Dänemark. Es war auch der Kinderkanal-Moderator Matondo Castlo dabei, und nachdem es sich durch die sozialen Medien herumsprach, dass die Internationalen auch an einer Demonstration gegen den Ausbau einer Siedlung in einem nahegelegenen Dorf teilgenommen haben, gab es in der BILD-Zeitung einen Hetzartikel gegen Castlo, bei der – angesichts ähnlicher Fälle in der Vergangenheit – seine dunkle Hautfarbe sicherlich eine Rolle gespielt hat. Es gab zum Festival und zu den Vorwürfen Interviews mit Teilnehmer:innen sowie eine Sendung beim Podcast 99 ZU EINS. Dort gab es kurz davor auch eine Sendung mit unserem Mitglied Shir Hever über Israels Sicherheitsindustrie.
Mitte August gab es in Ramallah Razzien der israelischen Armee bei sieben NGOs – die sechs, die vor einem Jahr zu terroristischen Organisationen erklärt wurden, sowie eine weitere. Dies unternahm Israel, nachdem die EU Länder und die USA (durch die CIA) Israels Vorwürfe längst als unbegründet zurückgewiesen hatten. Es handelt sich um eine Aktion gegen palästinensische Menschenrechtsorganisationen, die eine Rolle bei der potenziellen Verurteilung Israels am Internationalen Strafgerichtshof spielen. Dazu im Anhang ein Artikel des israelischen Rechtsanwalts Michael Sfard. Es gab wie gehabt „besorgte“ Worte von Vertreter:innen der großen EU-Länder, mehr aber nicht. Neben dem Mangel an Beweisen blieb fast unerwähnt, dass die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) angeblich volle Kontrolle über diesen Teil Palästinas, Area A, hat. Der Krieg gegen Menschrechtsarbeit wurde Ende August fortgesetzt mit Israels Verurteilung von Mohammed El Halabi, dem Leiter von World Vision in Gaza, zu zwölf Jahren Gefängnis.
Leseempfehlung: Ein Artikel von Peter Beinart in der NYT zeigt, wie sehr der vermeintliche Kampf gegen den Antisemitismus schiefgegangen ist und politisch instrumentalisiert wird. Das Muster in den USA ähnelt sehr dem uns bekannten Muster in Deutschland. Dieses widerspricht der Behauptung Deutschlands, seine Israel-Politik sei seine Pflicht angesichts der deutschen Schuld dem „jüdischen Staat“ gegenüber, und spricht eher für den Erfolg einer gemeinsamen Arbeit proisraelischer Lobbygruppen.