Stellungnahme zur Schließung vom Oyoun
Oyoun muss bleiben!
Am 22. November 2023 verkündete der Berliner Tagesspiegel das offizielle Aus für das „umstrittene Neuköllner Kulturzentrum Oyoun“. Im Kulturausschuss der Berliner Senatsverwaltung bekräftigte der Kultursenator Joe Chialo (CDU), dass sich die Senatsverwaltung für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt aktiv für die Umsetzung des Berliner Landeskonzeptes zur Antisemitismus-Prävention und gegen jede Form von Antisemitismus einsetzt. Nun wurde ad hoc entschieden, die finanzielle Förderung für das Kulturzentrum zu beenden, weil das dekoloniale, queerfeminstische und von Migrant:innen organisierte Kulturzentrum Oyoun der für den Senat als antisemitisch geltenden Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ seine Räumlichkeiten vermietete. Oyoun wurde wiederholt Antisemitismus seitens Berliner Abgeordneten vorgeworfen, weil es sich weigerte, einer jüdischen Organisation, mit Verweis auf Antisemitismus-Prävention, eine jüdische Veranstaltung abzusagen. Um die bizarre Logik des Kultursenators zu unterstreichen, bekräftigte Chialo (CDU) seine Entscheidung mit den Worten: „wenn ich sage, gegen jede Form, dann meine ich auch jede versteckte Form von Antisemitismus.“
Die besagte Veranstaltung war bereits Monate vorher als Jubiläumsfeier zum 20jährigen Bestehen unseres Vereins Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost angemeldet. Im Schatten der Hamas-Angriffe, der Entführungen und der anhaltenden Bombardements des israelischen Militärs auf die Zivilbevölkerung Gazas war für die Mitglieder der Jüdischen Stimme allerdings klar, dass es zum 20 jährigen Jubiläum nichts zu feiern, sondern viele Opfer, Geiseln, Traumatisierte und Tote zu betrauern gab. Deswegen wollten wir die bereits gemieteten Räumlichkeiten trotzdem nutzen, um gemeinsam mit solidarischen Menschen, darunter Menschen jüdischer und palästinensischer Herkunft, zu trauern, uns gegenseitig Trost zu spenden und uns aktiv zusammen gegen das zu der Zeit geschehene Verbrechen der israelischen Armee zu positionieren.
Vonseiten der Pressestelle des Berliner Senates scheint es ein Bewusstsein dafür zu geben, dass die gegen das Kulturzentrum erhobenen Antisemitismus-Vorwürfe jeder Logik entbehren und juristisch nicht durchsetzbar sind. Plötzlich heißt es, die Förderung des Kulturzentrums Oyoun laufe regulär aus und stehe nicht im Zusammenhang mit der Veranstaltung des jüdischen Vereins. Die Geschäftsleitung des Oyoun gab allerdings ein juristisches Gutachten in Auftrag, aus dem hervorgeht, dass die vierjährige Projektförderung bis 2025 im Vorfeld der Kontroverse bereits verbindlich zugesagt wurde. Ohne diese Zusage hätten die Betreiber:innen des Kulturzentrums Veranstaltungen und Projekte für das Folgejahr 2024 nicht planen können.
In diesem Sinne fordern wir den Berliner Senat für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt dazu auf, sich offiziell bei den Betreiber:innen des Oyoun für diesen massiven Eingriff in die Kunst- und Redefreiheit zu entschuldigen. Die plötzliche Ankündigung, das dekoloniale, queerfeministische und von People of Colour betriebenen Kulturzentrum zu schließen, hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun und muss als Staatszensur gegen BPoC klar benannt und kritisiert werden. Wir beobachten eine gezielte Spaltung zwischen gesellschaftlichen Minderheiten und Menschen mit Migrationserfahrung. Indem BPoC Mitarbeiter:innen des Oyoun gegen Menschen jüdischer Herkunft ausgespielt werden, offenbart der Berliner Kultursenat, dass sein entschiedenes Eintreten gegen „jeden Antisemitismus“ von einer beachtlichen Blindheit und Ignoranz geprägt ist und offensichtlich nur jenen gilt, die in die vorgefertigte, deutsche Schablone des „israelsolidarischen Juden“ passen. Damit reproduzieren die Berliner Abgeordnete antisemitische Stereotype, wonach es nur „den Juden“ gibt und diese Figur mit Israel gleichzusetzen ist.
Der Berliner Senat für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt soll wissen, dass sich die diverse, dekoloniale, migrantische und queerfeministische Community in Berlin und Neukölln, in der sich eine wachsende Zahl jüdischer Menschen mittlerweile bedeutend sicherer fühlt als in der deutschen Mehrheitsgesellschaft, nicht spalten und gegeneinander ausspielen lassen wird. Der Kampf gegen „jeden Antisemitismus“ ist nur dann glaubwürdig, wenn er die Pluralität jüdischer Stimmen achtet und vor staatlichen Eingriffen schützt. Er ist nur dann effektiv, wenn er gleichzeitig nicht blind für den Kampf gegen jeden – auch antiarabischen und anti-palästinensischen - Rassismus wird.
Der Erfolg des Spendenaufrufes, den das Oyoun nach dem Förderstopp startete, um sich gegen die staatliche Repression und Willkür des Berliner Senates zu verteidigen, und der mittlerweile 85.400 Euro erwirtschaftete, sollte vom Berliner Senat für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt als Weckruf gelesen werden. Die dekoloniale, queere, multi-ethnische Community Berlins, die Menschen jüdischer Herkunft fest in ihren Reihen miteinschließt, wird kämpfen. Das gutbesuchte Festival „Threads of Resilience“ spricht dafür Bände.
Wir, als Jüdische Stimme, kämpfen mit migrantisierten, ausgegrenzten und von Rassismus betroffenen Minderheiten für Safe Spaces, für Dialog, Kunst- und Meinungsfreiheit. Wir stehen fest an der Seite des Kulturzentrums Oyoun, das sich mutig und entschlossen der rechtswidrigen Zensur des Berliner Senates entgegen stellte, und sämtlichen Berliner:innen demonstrierte, wie ein entschiedenes Eintreten gegen „jeden Antisemitismus“ in praktischer Umsetzung auszusehen hat.
Oyoun muss – wie es ursprünglich vorgesehen war - bleiben!