Update - GEW und Shir Hever
Die GEW hat das Vertrauen ihrer ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen missbraucht. Kann man der GEW vertrauen, eine Veranstaltung ohne Vertrag durchzuführen?
Unser Mitglied Shir Hever veröffentlichte diesen Brief an seine Unterstützer:innen, nachdem die GEW Rhein-Neckar-Heidelberg mit Hilfe der GEW Baden-Württemberg und der Intervention des Antisemitismus-Beauftragten Dr. Michael Blume seinen Vortrag über Kinderarbeit in Palästina abgesagt hat.
Die Jüdische Stimme veröffentlichte im November 2022 eine Erklärung dazu. In dem Schreiben werden wichtige Entwicklungen in dem Fall erwähnt.
Liebe Freund:innen,
es ist eine Weile her, seit Ihr von mir gehört habt. Zunächst möchte ich mich dafür entschuldigen Ich, dass ich Euch einen langen Brief schicke. Möglicherweise wird es sogar der letzte Brief im Zusammenhang mit dem GEW-Skandal sein. In diesem Prozess habe ich viel über deutsche Politik, rechtliche Strukturen und den Umgang mit McCarthyismus, Zensur und Rassismus gelernt.
Überblick über die Fakten
Im vergangenen Jahr wurde ich von der GEW eingeladen, einen Online-Vortrag über Kinderarbeit in Palästina zu halten. Eine Woche vor dem geplanten Vortrag wurde er jedoch ohne Angabe von Gründen von Frank Orthen, Vorsitzender der GEW-Rhein-Neckar-Kreis, abgesagt.
Der daraufhin entstandene Skandal zwang die GEW, sich zu erklären. Sie beriefen sich auf einen geheimen Brief von Dr. Michael Blume, dem Antisemitismusbeauftragten des Landes Baden-Württemberg, der die Absage der Veranstaltung bewirkt haben soll. Die GEW erklärte, dass das Thema Kinderarbeit in Palästina zwar wichtig sei, aber sie Bedenken bezüglich des Referenten hatten und ihm nicht zutrauten, etwas zu sagen, hinter dem die GEW stehen könne.
Ricarda Kaiser, die stellvertretende Vorsitzende der GEW-Baden-Württemberg, weigerte sich, mir den Brief von Blume zu zeigen. Zwar versicherte sie, dass ich mein Honorar für den Vortrag erhalten würde, aber die GEW zahlte es nicht aus. Stattdessen wurde mir Schweigegeld angeboten, in der Hoffnung, dass ich nicht über das Thema sprechen und nichts veröffentlichen würde. Selbstverständlich habe ich dieses Angebot abgelehnt.
Die GEW weigerte sich beharrlich, mir ihre Gründe zu erklären, sich mit mir zu treffen oder über die Situation zu sprechen. Hunderte von Protestbriefen von Einzelpersonen, darunter auch GEW-Mitglieder und die GEW-Gruppe in Kassel, sowie von verschiedenen deutschen Organisationen erreichten die GEW.
Ich habe daraufhin Klage gegen die GEW eingereicht, um mein Honorar einzufordern. Doch die GEW-BW-Vorsitzende Monika Stein weigerte sich, die Absage des Vortrags auf der GEW-BW-Versammlung in Stuttgart mit anderen GEW-Mitgliedern zu besprechen, mit der Begründung, dass der Rechtsstreit noch im Gange sei.
Die Volkshochschule in Offenburg erhielt ebenfalls einen geheimen Brief von Dr. Blume gegen den Referenten Peter Michael-Kuhn. Im Gegensatz zur GEW entschied sich die Volkshochschule jedoch dafür, den Brief mit Peter Michael-Kuhn zu teilen und den Vortrag nicht abzusagen. Ein einfacher Akt der Verantwortung und Solidarität. Peter Michael Kuhn hat sich mit mir solidarisch gezeigt, als er mir erlaubte, den Brief zu veröffentlichen, wofür ich dankbar bin.
Zutiefst empörte GEW-Mitglieder aus Baden-Württemberg haben mir den Brief von Dr. Blume zugespielt. Wie erwartet, beharrt Dr. Blume weiterhin darauf, dass die BDS-Bewegung antisemitisch sei, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Gegenteil festgestellt hat. Dr. Blume griff mich aufgrund meiner Meinung an und nicht wegen des Themas des Vortrags, das keinerlei Bezug zur BDS-Bewegung hatte.
Dieses Problem breitete sich schnell über Baden-Württemberg hinaus aus. Claus Walischewski schrieb einen ausgezeichneten Artikel über die Nakba für den Bremer GEW-Newsletter. Allerdings wurde der Artikel am Ende des Hefts mit einem roten Stempel versehen, der die GEW von dem Inhalt distanzierte, obwohl dieser Stempel bei den anderen Artikeln nicht verwendet wurde. Es scheint, als ob die Bremer GEW der Meinung ist, die Rechte der Palästinenser:innen seien ein Thema, das sie nicht unterstützen könne.
Als Reaktion darauf wollte eine Gruppe von GEW-Mitgliedern in Hessen aus Protest gegen die Zensur in Baden-Württemberg einen Vortrag mit mir über Kinderarbeit in Palästina organisieren. Als Dr. Simone Claar, die stellvertretende Vorsitzende der GEW-Hessen, davon erfuhr, kündigte sie an, dass sie keine Veranstaltung mit mir zulassen werde.
Dr. Simone Claar ist eine Wissenschaftlerin, die sich besonders mit Gewerkschaftsfragen in Afrika beschäftigt, insbesondere in Südafrika. Sie weiß, dass der Congress of South African Unions (COSATU) BDS unterstützt. Fraglich ist, ob die GEW keine Gewerkschaftsmitglieder aus Südafrika als Redner:innen einlädt, nur weil sie die BDS-Bewegung unterstützen. Oder gilt die Zensur nur für mich?
Ich habe Frau Dr. Claar kontaktiert und versucht herauszufinden, ob ihre Entscheidung rassistisch motiviert ist. Fragte sie mich ab, ob sie ein Berufsverbot gegen Jüd:innen oder jeden, der BDS unterstützt, verhängt? Leider darf ich nicht zitieren, was sie mir am Telefon sagte, aber die GEW-Hessen schickte mir eine Stellungnahme als Antwort. Darin ging sie jedoch nicht auf das Problem des Rassismus oder die Gründe für das Verbot einer Veranstaltung mit mir ein, sondern betonte lediglich die Organisationsstruktur der GEW-Hessen, um klarzustellen, dass die Entscheidung, ob eine Veranstaltung stattfindet oder nicht, beim Vorstand der GEW-Hessen liegt und nicht bei den Aktivist:innen.
Der Gerichtsprozess um mein Honorar dauerte etwa ein halbes Jahr. Die Antwort der GEW auf meine Klage war, dass die Veranstaltung von Ehrenamtlichen der GEW organisiert wurde, die nicht das Recht hatten, über die Terminierung von Veranstaltungen oder die Zahlung von Honoraren zu entscheiden. Agnes Bennhold ist seit vielen Jahrzehnten ehrenamtlich für die GEW tätig. Sie organisierte die Veranstaltung und beantragte schriftlich die Durchführung des Vortrags am 27. Oktober 2022 und das Honorar von 250 Euro. Die GEW sagte vor Gericht aus, dass sie keine solche Genehmigung erhalten habe und erklärte nicht, warum sie eine Einladung und einen Link zur Online-Veranstaltung verschickt habe, wenn die Veranstaltung nicht genehmigt sei.
Das Gericht entschied zu Gunsten der GEW, und ich habe den Fall verloren.
Ich muss den Kampf gegen Dr. Blume weiterführen, der weiterhin Hass verbreitet und es mit der Ausrede "gegen Antisemitismus" rechtfertigt
Politische Anmerkungen
Innerhalb der GEW besteht zweifellos ein tiefgreifendes Rassismusproblem. Obwohl die Organisation in ihrer Satzung und Erklärung demokratische und fortschrittliche Werte betont, zeigt sie in der Praxis eher eine Förderung von McCarthyismus, Zensur und Diskriminierung. Es ist bedauerlich, dass sie einen jüdischen Redner aufgrund eines geheimen Briefes eines weißen Christen bestraft hat. Zudem werden palästinensische Kinder in deutschen Schulen diskriminiert, und die GEW als Lehrergewerkschaft scheint hier leider Teil des Problems zu sein, anstatt Teil der Lösung.
Die GEW hätte anders handeln können. Sie entschied sich jedoch dafür, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen, anstatt offen Diskussionen mit Andersdenkenden zu führen. Das Thema Rassismus und Zensur wurde konsequent ignoriert, und ihre Antworten waren stets gleich - Verbeugung vor der Autorität.
Die GEW-Rhein-Neckar-Kreis hatte die Möglichkeit, die ursprüngliche Veranstaltung wie geplant durchzuführen, entschied sich jedoch bedauerlicherweise dafür, der "Empfehlung" der GEW-BW zu folgen und die Veranstaltung abzusagen. Diese Empfehlung wurde aufgrund eines Briefes von Dr. Blume - einem weißen Christen - abgegeben, ohne dass dies mit mir, einem Juden, besprochen wurde. Warum? Weil Dr. Blume die Regierung vertritt und die GEW-BW sich hier auf die Seite der Mächtigen gegen die Schwächeren stellt.
Dr. Simone Claar hat ihre Entscheidung, den Vortrag zu verbieten, nicht erklärt, und die Reaktion auf den Rassismusverdacht beschränkte sich darauf, auf die Hierarchiestruktur innerhalb der GEW zu verweisen, was die Verantwortung für jegliches Fehlverhalten nur noch stärker auf ihre Schultern legt. Ich werde diese Antwort an meine Kontakte in der COSATU weitergeben, um sicherzustellen, dass sie nicht mit der GEW und Dr. Claar zusammenarbeiten werden.
Ebenso hat die GEW-BW das Vertrauen ihrer ehrenamtlichen Mitarbeiter wie Agnes Bennhold (und vieler anderer) missbraucht, um das Gerichtsverfahren zu gewinnen. Das bedeutendste Beweismittel, das die GEW dem Gericht vorlegte, war die Hierarchiestruktur der Organisation, um zu zeigen, dass Agnes Bennhold nicht allein über die Veranstaltung entscheiden konnte.
Die GEW hat dadurch 250 Euro eingespart, die als Honorar hätten gezahlt werden sollen, aber gleichzeitig das Vertrauen ihrer Ehrenamtlichen verloren. Wer wird sich nun noch bereit erklären, ohne schriftlichen Vertrag eine Veranstaltung für die GEW zu organisieren? Wer möchte sich noch ehrenamtlich engagieren und Initiativen innerhalb der GEW fördern? Die GEW war bereit, so weit zu gehen, einen Meineid zu leisten und das Gericht zu belügen, nur um das Gerichtsverfahren zu gewinnen.
Eine Gewerkschaft hat die Aufgabe, die Beschäftigten zu schützen und sie gegenüber mächtigen Arbeitgebern zu vertreten. Die GEW jedoch handelt konsequent nicht wie eine Gewerkschaft, sondern eher wie ein Instrument der Unterdrückung, indem sie sich stets auf die Seite der Starken gegen die Schwachen stellt - sei es für Israel gegen Palästina, für Dr. Blume gegen mich, oder für Frank Orthen gegen Agnes Bennhold.
Es gibt zwei mögliche Erklärungen für diese Politik innerhalb der GEW (in Baden-Württemberg, Hessen und Bremen), die bereits für Unmut unter den Mitgliedern gesorgt und dem Ansehen der GEW und der Personen in Führungspositionen geschadet hat: Frank Orthen, Ricarda Keiser, Dr. Simone Claar und Monika Stein. Eine Erklärung wäre, dass die GEW uninformiert und unbedacht bezüglich der Situation in Palästina handelt und daher schlechte strategische Entscheidungen trifft. Die andere Erklärung wäre, dass die GEW eher bereit ist, Opfer zu bringen, anstatt sich dem strukturellen Rassismus innerhalb der Organisation zu stellen, welcher dazu führt, sich blind vor Autoritäten zu beugen, selbst wenn diese ungerecht handeln. Beide Erklärungen haben gewichtige Argumente, die mich davon überzeugen, dass die GEW unter der derzeitigen Führung nicht als seriöse Gewerkschaft betrachtet werden kann.
Falls die Regierung in Zukunft wieder beschließt, Geld zu sparen, indem sie die Gehälter der Lehrer:innen kürzt, kann man dann darauf vertrauen, dass die GEW für die Rechte der Lehrer:innen gegenüber der Regierung eintritt? Vielleicht, aber nur wenn die Lehrer:innen weiße Christen:innen sind.
Ich finde es äußerst schwierig zu verstehen, wie ethisch denkende Menschen weiterhin Mitglied der GEW bleiben können und vor allem, wie sie die Organisation unter ihrer derzeitigen Führung weiterhin unterstützen können. Nachdem die GEW das Vertrauen ihrer eigenen ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen missbraucht hat, um das Gerichtsverfahren zu gewinnen, bleibt Frank Orthen, Ricarda Keiser, Dr. Simone Claar und Monika Stein wohl nichts anderes übrig, als auszutreten.
Persönliche Anmerkungen
Anfangs schrieb ich, dass dies möglicherweise der letzte Brief ist, den ich Euch bezüglich des Skandals mit der GEW zusende. Doch hier bin ich erneut, denn ich glaube daran, dass ich alles in meiner Macht Stehende getan habe, um auf die beschämende Unterwürfigkeit der GEW gegenüber rassistischem Druck zu reagieren.
Von Anfang an war ich stark versucht, die ganze Angelegenheit unkommentiert zu lassen. In Deutschland werden zahlreiche Vorträge von Referent:innen unterschiedlicher Herkunft abgesagt, doch wenn es sich dabei um Palästinenser:innen handelt, wird die Zensur oft unbemerkt hingenommen, ohne dass Zeitungsartikel oder wütende Protestbriefe erscheinen.
Es lag in der Verantwortung von Monika Stein, sich nicht auf die Seite von Dr. Blume zu stellen und die Absage meines Vortrags zu empfehlen, ohne vorher mit mir zu sprechen oder sich über die Fakten zu informieren. Gleiches gilt für Frank Orthen, der zu seinem Freiwilligen und seinem Versprechen stehen sollte, die Veranstaltung wie geplant durchzuführen, auch wenn er mit einer Empfehlung des Landeskreises konfrontiert wurde.
Und so lag es auch in meiner Verantwortung, angesichts der willkürlichen Absage nicht zu schweigen und eine Kampagne zu starten, um die GEW an den Pranger zu stellen und ihr McCarthyistisches Verhalten zu entlarven. Diese Verantwortung wiegt umso schwerer aufgrund meines Privilegs, als Jude in Deutschland zu leben, ohne dem Ausmaß an Rassismus und Diskriminierung ausgesetzt zu sein, das Palästinenser:innen tagtäglich erfahren. Angesichts des vorherrschenden Rassismus in der GEW war es für sie schwieriger, meinen Fall zu ignorieren als die vielen Fälle von zum Schweigen gebrachten palästinensischen Stimmen, die einfach übergangen werden. Ich konnte mich meiner Verantwortung nicht einfach entziehen.
Der Prozess hat natürlich viel von mir abverlangt. Ich hatte Angst, mich gegen eine mächtige Organisation mit einem teuren Anwalt und Tausenden von Mitgliedern zu stellen. Gleichzeitig war ich wütend über die Mauer des Schweigens, hinter der sich Stein, Orthen und Dr. Claar zu verstecken versuchten. Und ich war enttäuscht und traurig, als ich den Prozess letztendlich verlor. Diese Gefühle begleiten mich noch immer – die Ängste, die Wut und die Traurigkeit.
In diesem Prozess habe ich Zeit, Schlaf und ein wenig Geld verloren. Das Geld bereue ich am wenigsten, denn ich erinnere mich an das jiddische Wort "Rebegeld" - Geld, das man im Austausch für eine wertvolle Lektion verliert.
Ich wünschte, ich könnte jetzt sagen, dass die Geschichte hier endet. Doch unabhängig davon, was mit der GEW geschieht und ob die Verantwortlichen zurücktreten werden oder nicht, muss ich den Kampf gegen Dr. Blume weiterführen, der weiterhin Hass verbreitet und es mit der Ausrede "gegen Antisemitismus" rechtfertigt. Ich werde nicht aufhören, mich gegen solches Verhalten einzusetzen.
Viele solidarische Grüße,
Shir Hever