Kommentar zu Judenhass Reportage auf ARD
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Published 24. Januar 2024

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Kommentar zu Judenhass Reportage auf ARD

Kommentar zu Judenhass Reportage auf ARD

So hat es damals auch angefangen“ beklagt Margot Friedländer, Überlebende des Holocaust, in beschwörend flüsterndem Tonfall in der ersten Sequenz der Kontrast-Reportage mit dem reißerischen Titel: Judenhass: Unser Leben nach dem 7. Oktober. Auch Igor Levit, stadtbekannter Pianist in Berlin, hat Angst. Denn er ist, so offenbart er, „ein Jude in Deutschland“ und sei dadurch aktuell besonders gefährdet. Schon in den folgenden Sekunden der Reportage gewinnt man den Eindruck, dass dieser Judenhass, der Menschen wie dem jüdischen Berliner Pianisten Igor Levit, der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer und der jüdischen Studentin Hanna Veiler um die Ohren fliegt, vor allem in von pro-palästinensischen Aktivist:innen besetzten Hörsälen und auf offener Straße im arabisch geprägten Berliner Stadtteil Neukölln zu finden sei. Ein deutscher Politiker zeigt sich vor offener Kamera völlig entsetzt und beschämt darüber, wie offen Antisemitismus „in einem Land, von dem der Holocaust ausgegangen ist“ heute wieder gezeigt werde.  


Ein weiterer, älterer Mann jüdischer Herkunft sitzt wie eingekerkert tief eingesunken in einem Sessel in seiner norddeutschen Wohnung, zu seinem eigenen Schutz ausgestattet mit Sicherheitskameras, elektrischer Alarmanlage, Hochsicherheitstor zur Einfahrt. Auch er möchte dafür sensibilisieren „dass Juden nirgends mehr sicher sind“.


Weiter geht die Reportage mit Hanna Veiler, einer jungen Studentin jüdischer Herkunft, die auf einer Kundgebung ihre Fassungslosigkeit darüber formuliert, dass „jüdische Studierende nicht Studierende wie alle anderen sein können“. Erneut wird der Eindruck vermittelt, dass es Palästina-solidarische Aktivist:innen an deutschen Universitäten seien, welche es dieser Studentin unmöglich machen, sich auf ihr Studium zu konzentrieren, in dem sie an Universitäten gegen den Staat Israel protestieren. Aktivist:innen, in deren Reihe sich auch jüdische Menschen befinden, die aktuell sicherlich auch nicht besonders viel Zeit in ihr Studium investieren können. Nicht etwa, weil sie sich vor antisemitischen Angriffen schützen müssten. Sondern viel mehr, weil sie palästinensische Aktivist:innen dabei unterstützen, gegen einen Genozid zu protestieren, der durch den israelischen Staat, mit freundlicher Unterstützung der deutschen Regierung, im Namen des Judentums durchgeführt wird. Hanna Veiler beklagt, dass sie sich eigentlich gerne „mit ganz anderen Dingen“ befassen würde als „mit der Frage, wie sehr die Welt einen hasst“. Ich, Deutsche jüdischer Herkunft, würde mich auch gerne mit anderen Dingen befassen, als das auslöschende Ausmaß, in dem die amtierende israelische Regierung palästinensische Zivilist:innen hasst.


Die Aussagen von jüdischen Menschen in Deutschland, über den aktuell als virulent empfundenen Judenhass, erzeugen eine Mischung an unterschiedlichen Emotionen in mir.


Wie bereits erwähnt habe auch ich jüdische Wurzeln. Und dennoch laufe ich nicht mit diesem permanenten Gefühl durch die deutsche Öffentlichkeit, dass man mir an jeder Ecke mit unkontrolliertem, virulentem Hass ob meiner jüdischen Identität begegnen würde. Wenn ich mich vor Polizist:innen als Jüdin zu erkennen gebe, werde ich auf Demonstrationen meistens deutlich respektvoller und achtsamer behandelt, als meine muslimisch oder arabisch gelesenen Brüder und Schwestern.


Gleichzeitig erlebe ich auf pro-palästinensischen Kundgebungen und Demonstrationen wie Hass, Ablehnung, Abwertung und Ignoranz seitens der Polizei und pro-israelischer, deutscher Linker auch der in ihren Augen„falschen“ Sorte Juden und Jüd:innen zuteilwerden kann. Ich erlebe die erschreckende Intensität, mit der migrantisierten, pro-palästinensischen Aktivist:innen ein schier nicht für möglich gehaltenes Ausmaß an Hass und Rassismus entgegen schlägt, insbesondere muslimisch und palästinensisch gelesenen Aktivist:innen. Ich erlebe, dass muslimisch und arabisch gelesene Aktivist:innen Worte wie „Genozid“ nicht nutzen dürfen, geschweige denn ein Ende der Besatzung Palästinas fordern, so wie es einem jahrzehntelang besetzten Volk eigentlich per internationalem Völkerrecht mindestens zusteht.


Von solchen Situationen mal ganz abgesehen, in denen ich durch meine Solidarität mit palästinensischen Menschen, die massiver staatlicher Repression und Polizeigewalt ausgesetzt sind, eine ganz eigene, moderne und in Deutschland produzierte Sorte von anti-antizionistischem Judenhass zu spüren bekomme, vermitteln mir allerdings weder Menschen deutscher Herkunft, noch Menschen palästinensischer Herkunft in gesteigerter Intensität das Gefühl, dass sie mich abgrundtief hassen würden, einzig und allein weil ich jüdischer Herkunft bin. Natürlich ist mir mittlerweile durchaus bewusst, dass ich von vielen Freund:innen aus meinem deutschen Bekanntenkreis nicht allzu viel praktische Solidarität und Mitgefühl erwarten sollte. Aber ich denke, solange man diese beklemmte Passivität seines deutschen Netzwerkes für sich akzeptiert hat, geht es eigentlich.


Dennoch empfinde ich ein gewisses Mitgefühl für die Studentin. Es muss sich furchtbar beängstigend und entwertend anfühlen, tagtäglich mit diesen Ängsten, von allen gehasst zu werden, herumzulaufen. Gleichzeitig frage ich mich: Wieso fühlen wir so unterschiedlich, wenn es um Judenhass in Deutschland seit dem 7. Oktober geht? Gibt es irgendeinen Defekt in meinen jüdischen Genen, der dieses Gefühl erfreulicherweise ausgecancelt hat? Liegt es vielleicht daran, dass ich mich als säkular erzogene Person nie stark genug mit meiner jüdischen Herkunft identifiziert habe?  Vielleicht liegt es daran, dass eine permanente Auseinandersetzung mit dem Gehasst-Werden, aufgrund der eigenen jüdischen Identität, keinen allzu großen Raum in meiner Sozialisation eingenommen hat.


Vielleicht, vielleicht – das ist jetzt nur eine steile These - ist der von der Studentin so wahrgenommene Judenhass, der in dieser Reportage thematisiert und hauptsächlich der pro-palästinensischen, internationalistischen Linken zugeordnet wird, aber auch eine unangenehme Begleiterscheinung der israelischen Flagge, welche ein Davidstern im Zentrum schmückt. Eine Flagge, welche die gefährliche Message in die Welt sendet, dass die Nakba, die Vertreibung von Palästinenser:innen, die jahrzehntelange Besatzung des Gazastreifens und die illegale Besiedlung des Westjordanlandes, die regelmäßigen Bombardierungen des Gazastreifens, die Repressionen und Pogrome in der Westbank, das seit drei Monaten anhaltende, systematische Morden in Gaza und die Pogrome in der Westbank als Vergeltung für die Angriffe der Hamas …dass all diese Gräueltaten zur Verteidigung des Judentums durchgeführt würden.


Vielleicht ist der Hass, den die Protagonist:innen in dieser ARD Reportage zu spüren angeben, eine Konsequenz dessen, dass die israelische Propagandamaschinerie unablässig den Generalverdacht kultiviert, dass jede Benennung und rechtmäßige Kritik an all diesen und noch weiteren Menschen- und Völkerrechtsverbrechen durch die israelische Regierung und das israelische Militär per-se als antisemitisch einzuordnen sind. Das allein schon die Forderung eines Waffenstillstandes oder die Nutzung des Wortes Genozid nur im Hinblick auf ihre antisemitische Grundintention verstanden werden kann. Vielleicht werden viele jüdische Menschen mittlerweile nicht von Mitmenschen gehasst, allein weil sie jüdisch sind, sondern weil die israelische Regierung durch ihren ständigen, reflexartigen Verweis auf Antisemitismus weltweit den Eindruck erweckt, dass der israelische Staat, als selbst-deklarierter Vertreter des weltweiten Judentums, ein gewisses Privileg besitzt, indigenen Menschen Häuser zu klauen, oder diese zu demolieren, deren Kinder und Jugendliche ohne Verfahren monate- oder jahrelang zu verhaften, ganze Regionen in Freiluftgefängnisse zu verwandeln, Phosphorbomben auf eine Bevölkerung nieder regnen zu lassen, ohne das all dies als Verbrechen benannt und vor dem internationalen Gerichtshof mit den entsprechenden – leider begrenzten – Mitteln als Völkermord geahndet werden dürfte.


Was braucht diese Studentin, was brauchen Pianisten wie Igor Levit, was brauchen jüdische Menschen in Deutschland, um diese Ängste vor einem scheinbar allgegenwärtigen Judenhass zu bewältigen und sich wieder sicher in Berlin zu fühlen? Die Reportage vermittelt den Eindruck, dass es vor allem pro-palästinensische Aktivist:innen im Rahmen von politischen Aktionen in der Öffentlichkeit zu verantworten hätten, dass sie diese Ängste aushalten müssen. Müssten diese antisemitischen Migrant:innen  einfach alle in großem Stil abgeschoben werden, wie Olaf Scholz es fordert, sofern sie sich nicht klar und unmissverständlich zur freiheitlichen Grundordnung und im Gleichen Zuge unfreiwillig zum Existenzrecht des israelischen Staates bekennen?  Massenhafte Abschiebungen: Eine Option, die unlängst in einem Potsdamer Hotel von Rechtsextremen AfD Sympathisanten näher erörtert wurde. Wenn das also scheinbar die Lösung wäre, dann können Hanna Veilers und Igor Levit doch eigentlich beruhigt aufatmen. Denn einige in der deutschen Mehrheitsgesellschaft, von der sie sich bislang mehr deutliche Solidarität erhofft hätten, kümmern sich offenbar bereits um eine effiziente Lösung für diesen virulenten Judenhass, der scheinbar in erster Linie von Migranten importiert wird.


Die Reportage vermittelt auch den Eindruck, dass diese Studentin seit dem 7. Oktober zum Sprachrohr für „junge Juden“ in Deutschland geworden sei. Vielleicht bin ich mit 37 Jahren einfach zu alt, um mich zu diesen „jungen Jüd:innen“ zu zählen. Aber in mir sträubt sich so einiges, als ich diese Aussage aus dem Off der Reportage höre. Bei allem Mitgefühl für ihr offensichtliches Unwohlsein, ihre Ängste, muss ich dennoch eingestehen: Für mich spricht Hanna Veilers definitiv nicht.


Gleichzeitig kommen mir einige ihrer Aussagen, die sie vor der Kamera tätigt, bekannt vor: „Wir sehen, dass Freunde, die nicht betroffen sind, einfach ganz normal ihr Leben weiterleben. Natürlich tut das dann weh, wenn man nicht mal im engsten Freundeskreis eine Sensibilität dafür hat, was Jüd:innen und Juden gerade durchmachen“. Das habe ich doch schon mal irgendwo gehört!? Plötzlich kommt mir eine Idee. Vielleicht sollte ich Kontakt zu ihr aufnehmen, vielleicht sollte ich sie anderen Minderheiten vorstellen. Minderheiten, die sich seit dem 7. Oktober in Deutschland genauso fühlen, wie diese jüdische Studentin das so treffend beschrieben hat. Schließlich tut es Menschen oft gut, wenn sie in ihrem Gefühl von Einsamkeit und Isolation von anderen Menschen verstanden und aufgefangen werden. Diese Studentin ist vielleicht gar nicht so alleine wie sie glaubt, zu sein. Vielleicht hat sie sich einfach zu viel Solidarität und Mitgefühl an falscher, an deutscher, Stelle erhofft.


Denn ich glaube, nein – ich weiß - es gibt noch andere Menschen in Berlin und in Deutschland, die sich seit dem 7. Oktober ähnlich einsam und von der deutschen Mehrheitsgesellschaft im Stich gelassen fühlen. Und zwar Menschen palästinensischer, arabischer und muslimischer Herkunft. Ich habe in mehreren Situationen mit diesen Menschen gesprochen, und sie haben von genau diesem Gefühl berichtet, dass die Studentin beschreibt. Dem Gefühl der Einsamkeit. Dem Frust im Angesicht der Gleichgültigkeit der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Der Fassungslosigkeit darüber, dass kaum ein deutsches Gesicht auf einer Palästina-solidarischen Demonstration zu sehen ist. Dem Schmerz über die Ignoranz, mit der ihre Freunde deutscher Herkunft ihrem alltäglichen Leben nachgehen, Weihnachten mit ihren Familien feiern, sich Abends mit Freund:innen auf ein Bierchen treffen, den Urlaub für das kommende Jahr planen.  Als sei der Genozid an der palästinensischen Bevölkerung, die aktuell stattfindende Auslöschung palästinensischen Menschenlebens in Gaza und der Westbank nichts weiter als ein störendes Hintergrundgeräusch, an das man sich mit ein bisschen Zeit und Geduld irgendwann schon noch gewöhnen wird. Schließlich hat man sich in Deutschland schon an so einige Kriege und Völkermorde außerhalb deutscher Nationalgrenzen gewöhnt. Die passieren halt, wie das Wetter, wie die Jahreszeiten. Da hat sich doch bisher auch niemand auf die Straße gestellt und dagegen protestiert. Was soll denn jetzt bitte so anders sein?


Aber dann frage ich mich: Würden Menschen wie Igor Levit und Hanna Veilers so ein Kontaktangebot von palästinensischen Brüdern und Schwestern annehmen können? Schließlich scheinen auch sie zu glauben, wie auch die Zuschauer:innen der Kontraste Reportage glauben sollen, dass es mitunter diese palästinensischen Mitbürger:innen seien, für deren antisemitischen Hass sie eine willkommene Projektionsfläche bieten. Die Kontraste -Reportage scheint deutsche Zuschauer:innen dafür sensibilisieren zu wollen, dass es nun eigentlich an der deutschen Mehrheitsgesellschaft läge, bedrohte Juden und Jüd:innen in Deutschland vor pseudo-linken, pro-palästinensischen Demonstrant:innen in Schutz zu nehmen. Das ist dann schon verständlich, die Enttäuschung, wenn der deutsche Freundes- und Bekanntenkreis dem ungefilterten, palästinensischen, muslimischen und arabischen Judenhass weiterhin so gleichgültig und tatenlos gegenübersteht.


Vielleicht sollte ich Kontakt zu Igor Levit und Hanna Veilers aufnehmen. Vielleicht kann ich ihnen wohlwollend vorschlagen, palästinensischen Menschen in Deutschland einfach mal genau das Mitgefühl entgegenzubringen, dass sie sich die ganze Zeit von ihren nicht-jüdischen, deutschen Bekannten erhofft hätten. Vielleicht fühlen sie sich einsam, weil sich irgendetwas in ihnen gegen die schmerzhafte Erkenntnis wehrt, dass jüdische UND palästinensische Menschen von der deutschen Politik und öffentlichen Fernseh- und Rundfunksendern ständig im Stich gelassen und gegeneinander ausgespielt werden. Vielleicht wären sie erleichtert, wenn sie feststellen würden, dass sie auf emotionaler Ebene viel mehr mit Menschen palästinensischer Herkunft eint als trennt. Vielleicht funktioniert dieser Ansatz aber auch nur, wenn sie bereit sind, ihre Ängste hinter sich zu lassen, und einen wechselseitigen Dialog zu wagen. Vielleicht funktioniert es nur, wenn sie sich auch mal auf die Sichtweise ihres Gegenübers einlassen, statt stur ein Mitgefühl einzufordern, dass sie dem Gegenüber allerdings weitgehend zu verweigern scheinen. Vielleicht geht es ums loslassen von Illusionen, von Verteidigungsrechten und Selbstbestimmungsrechten auf Kosten anderer, statt sich an der zionistischen Sichtweise eines weltweit bedrohten Judentums festzuklammern, für das es in der ganzen Welt nur einen einzigen Schutzort, und zwar in einem Großisrael gibt. Vielleicht würden sie die überraschende Erfahrung machen, dass sie das Mitgefühl, das Verständnis von aufgefangen werden in (pro-)palästinensischer Gesellschaft finden könnten, welches sie sich so sehr von der deutschen Gesellschaft erhofft hätten. Ich jedenfalls habe es dort gefunden, und bin dafür sehr dankbar.




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Emily Weingarten - JS Vorstandsmitglied