Statement zum öffentlichen Umgang mit dem Ukraine-Krieg
Die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost solidarisiert sich mit den Menschen in der Ukraine, die unter der imperialistischen Gewalt Russlands leiden.
Die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost solidarisiert sich mit den Menschen in der Ukraine, die unter der imperialistischen Gewalt Russlands leiden. Mit jenen, die in ständiger Angst leben müssen, die Angehörige verloren haben, traumatisierende Erfahrungen machen mussten und deren Familien getrennt wurden. Das Maß an Leid, das durch Machtphantasien und Kampf um Territorium bei Menschen verursacht wird, geht nahezu ins Unendliche.
Wie jede andere Gruppe können und sollen sich die Menschen in der Ukraine wehren und ihr Leben und ihre Familien und Freunde schützen. Die internationale Aufmerksamkeit, die vor allem auch in Europa zu sehen ist, die mediale Aufarbeitung des Kriegs, die Maßnahmen zur Evakuierung und Aufnahme der Ukrainer zeigen, wie viel möglich gemacht werden kann, um diese Menschenleben zu sichern.
Gleichzeitig verurteilen wir die von unseren Regierungen und Medien an den Tag gelegte Doppelmoral, aufgrund derer nur im Fall der Ukraine, mit einer größtenteils als weiß, europäisch und christlich gelesenen Bevölkerung, der Widerstand gegen die Besatzungsmacht als berechtigt, notwendig, ja heroisch dargestellt wird. In Syrien, dem Jemen, Somalia und Palästina kämpfen und leiden die Menschen seit Jahren oder gar Jahrzehnten unter imperialistischen Armeen und Besatzungsmächten, ohne eine solche internationale Anerkennung zu erfahren. Ihr Leid wird seit Jahren von der westlichen Welt hingenommen und mitverursacht.
So berichtete skynews über das heldenhafte Herstellen von Molotowcocktails in der Ukraine. Tage zuvor wurde ein plästinensischer Junge von der israelischen Besatzungsmacht erschossen mit der Begründung, er hätte einen Molotowcocktail auf israelische Soldaten geworfen. Darüber gab es bei skynews keinen Bericht.
Palästinenser :innen müssen jetzt erleben, wie Bilder ihres anhaltenden Widerstands plötzlich in der medialen Berichtserstattung des Ukrainekriegs internationale Aufmerksamkeit bekommen. Bilder, die ihr Leid darstellen und erst wichtig zu werden scheinen, wenn man die jeweiligen Personen fälschlicherweise als weiße Europäer:innen einordnet. Dass Fotos von Ahed Tamimi, wie sie vor einigen Jahren gegen israelische Soldaten Widerstand leistete, nun auf mehreren Plattformen Berühmtheit erlangen, weil man sie für ein ukrainisches Mädchen hält, verdeutlicht die rassistisch diskriminierende Haltung zum Leid und Widerstand der Besatzungsopfer.
An der Grenze zu Polen erfroren diesen Winter viele nichteuropäische Geflüchtete. Dass es auch anders geht, zeigt die polnische Regierung erst, sobald weiße Nachbarn an die Tür klopfen. In internationalen Medien wird diskutiert, dies sei ein anderer Krieg als in Afghanistan/Syrien/Irak, weil es sich diesmal um zivilisierte Menschen handele. Im deutschen Fernsehen werden ukrainische mit syrischen Geflüchteten verglichen, und syrischen Männern wird vorgerworfen, sie hätten nicht für ihr Land gekämpft. Auf der Flucht aus der Ukraine werden schwarze Menschen von weißen Menschen aus Zügen gedrängt. Jene, die es doch noch in den Zug geschafft haben, werden von der deutschen Bundespolizei oder etwa in Polen anhand von racial profiling überprüft und aussortiert. Und Israel nimmt nur jüdische Geflüchtete auf.
Der Rassismus ist allgegenwärtig und zeigt sich in solchen Krisensituationen auf allen möglichen Ebenen. So erschreckend dieser Umstand ist, fordern wir, ihn als Weckruf zu sehen um zu begreifen, wie tief Rassismus, Eurozentrismus und koloniales Gedankengut verwurzelt sind. Als besonders verwerflich empfinden wir es, das Leid der einen zu verwenden, um das Leid der anderen zu verstärken. Beispielsweise wird in völkerrechtswidrigen Siedlungen im Westjordanland nun « Platz für jüdische Ukrainer gemacht ». Diese altbekannte koloniale Praxis des Gegeneinander-Ausspielens verletzlicher Gruppen verurteilen wir zutiefst.
Deswegen fordern wir, dass neben der notwendigen Solidarität mit den betroffenen Menschen in der Ukraine auch verstärkt an andere Opfer militärisch-kolonialer Unterdrückung gedacht wird, und dass nicht nur den Ukrainer:innen geholfen wird, sondern auch denjenigen Menschen, die der Westen bewusst oder unbewusst nicht als gleichwertig betracht – die aber oft, etwa im Jemen oder in Israel, gerade mithilfe westlicher Ausrüstung und mit diplomatischer Rückendeckung aus Europa und den USA unvorstellbares Leid erleben. Solidarität ist unteilbar!